Dirk Ippen zum Achtzigsten – Wie wird man in einem Leben so unverschämt reich?

Großverleger Dirk Ippen ist heute 80 geworden
Eine kritische Würdigung

Sie kennen Dirk Ippen nicht? Dann wird es Zeit. Immerhin hat der umtriebige Großverleger im Laufe seines Lebens nicht nur ein Vermögen von wenigstens 500 Millionen Euro, sondern auch rund 100 Zeitungstitel zusammengerafft. Und so gehört ihm bzw. seiner Ippen-Gruppe mit einiger Wahrscheinlichkeit auch ihre regionale Tageszeitung und – wenn, dann richtig – auch der führende Anzeigenblattverlag in ihrer Gegend. Sollten sie dieser Tage also auf eine peinlich-unterwürfige Würdigung des alten Herrn stoßen, sehen sie es dem Schreiber nach. Er ist jung und braucht das Geld.

Ich selbst will Dirk Ippen gerecht werden – gerade um ihn zum Ende hin hart kritisieren zu dürfen. Und tatsächlich haben Dirk Ippen und sein Lebenswerk zum Achzigsten eine kritische Würdigung verdient. Wer also ist Dirk Ippen? Wie wird man als Jurist in einem Leben eigentlich so unverschämt reich? Hat er dabei wenigstens Gutes gestiftet? Und welche Auswirkungen hat sein verlegerisches Wirken auf unser Gemeinwohl?

Zur Promotion den ersten Verlag
Interessante Einblicke in sein Leben gewährt Dirk Ippen in seiner Autobiografie “Mein Leben mit Zeitungen”(2019): Dirk Ippen wurde mitten ins Verlagsgeschäft hineingeboren, geprägt vom promovierten Vater Rolf Ippen, Mit-Herausgeber und Geschäftsführer der WAZ-Gruppe von 1949-1963. Der junge Dirk studiert Jura in Freiburg, macht Praktika bei Banken und Verlagen und promoviert 1967 über die damals neue Rechtsform der “Einheitsgesellschaft GmbH & Co.KG”. Vermutlich um den Junior im Verlagsgeschäft zu halten, oder auch nur zum Üben, kauft Rolf Ippen vierzig Prozent Anteile des Westfälischen Anzeigers, einer Tageszeitung mit einer Auflage von 36.000 Exemplaren. Dirk Ippen wird Geschäftsführer “seines” ersten Verlages. “Gleichwohl haderte ich mit meinem Schicksal, mich mit 26 Jahren für (…) ein Leben  als Drucker und Verleger von Lokalzeitungen in Hamm entscheiden zu sollen.”

Es kommt anders. Anfang 1968 stirbt der Vater, die Hochzeitsreise in die USA wird im Sommer nachgeholt. Zuerst nach Boston, dann nach Decatur in Illinois geht die Reise, “noch mehr tiefste Provinz als Hamm.” Der dortige Lokalverleger, wie Ippen in Hamm ohne Wachstumsperspektive, hatte nach und nach benachbarte Heimatzeitungen aufgekauft und dabei eine wachsende Zeitungskette gebildet. Ippen darf das Verlagshaus “studieren”, versteht, wie hier Know-how zentral gebündelt und wie ein Filialsystem in die Fläche wieder ausgerollt wird. “Bis zu 100 selbständige Lokalzeitungen unter einheitlichem Management” – the dream was born. Vorortblätter (Suburban Newspapers), das erkennt er in den USA, haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber den in der City erscheinenden Zeitungen: “Im Anzeigenverkauf kassiert man doppelt. Einmal von den örtlichen Gewerbetreibenden und dann von den Einzelhändlern” im Oberzentrum.

Den “Marshallstab im Tornister” 
Zurück in Deutschland dreht Dirk Ippen auf, wie man heute sagt. Im Bewusstsein “den Marshallstab im Tornister” zu haben (Ippen über Ippen) – und in den USA in den verlegerischen Durchblicksstrudel geraten zu sein – trimmt er seine Hammer Verlagszentrale auf Effizienz und Ertrag, denn Expansion braucht Eigenkapital. Der Kasseler Verleger Wilhelm Batz, ein Studienkollege des Vaters, verschafft ihm “einen Aktenordner mit den Handelsregister-Eintragungen von sämtlichen deutschen Zeitungsverlagen”. Auch sein Beuteschema bekennt Ippen in seiner Autobiografie offen: Er sucht nach ertragsschwachen Verlagen mit mehreren Gesellschaftern, möglichst in fortgeschrittenem Alter und aus “verschiedenen Familienstämmen”. Hier wittert Dirk Ippen die Chance, sich strategisch einkaufen zu können.

Teilen und wachsen bei Bremen
Es klappt. Ippen kauft sich in Syke südlich von Bremen in die eigentlich bedeutungslose Kreiszeitung ein – und fusioniert binnen weniger Jahre gleich acht ehemals selbständige Kreisblätter unter seiner Regie. “Teilen und wachsen vor den Toren Bremens” überschreibt Ippen den von ihm “moderierten Prozess” und beweist zugleich, dass sich sein Geschäftsmodell tatsächlich “ausrollen” lässt.

Bereits 1974 kauft Ippen von Peter Udo Blintz eine maßgebliche Beteiligung an der Offenbach Post, revolutioniert die technische Produktion und schröpft von nun an das Rhein-Main-Gebiet. “Die Anzeigenentwicklung in diesen Boomjahren im prosperierenden Stadt- und Landkreis Offenbach war phänomenal.” Die Kriegskasse wächst, aber Bremen lässt sich in Frankfurt so leicht nicht wiederholen.

Mit dem Münchner Merkur in die erste Liga
Ippen kauft was er kriegen kann, bundesweit, besonders gerne unterbewertete Verlage jenseits des Zenits. Im Januar 1982 kauft Ippen von Springer den heruntergewirtschafteten Münchner Merkur, das an der Isar ansässige Boulevardblatt tz und Anteile am Oberbayrischen Volksblatt (OVB) – ein unglaublicher Move für einen Verleger aus der westfälischen Provinz. Dirk Ippen, jetzt Anfang 40, ist in der ersten Liga der Verleger angekommen – und fürderhin nicht mehr aufzuhalten.

Wenden wir diese Laudatio, denn der Verfasser ist keiner der Lohnschreiber des Herrn Dr. Ippen.

Da sich mit Qualitätsjournalismus kein Geld verdienen lässt, wie Ippen und vor allem sein Neffe Daniel Schöningh immer wieder betonen, drängt sich die Frage auf, wo die Gewinne herkommen. Denn 500 Millionen Euro lassen sich nicht so leicht aus Kreisanzeigern und Anzeigenblättern, also mithin aus den eher bescheidenen Erträgen der lokalen Einzelhändler und Gewerbetreibenden, pressen. Auch nicht in 25 Jahren. Wie – oder: auf wessen Kosten, die Frage muss erlaubt sein – wurde jemand wie Dirk Ippen so obszön reich?

Auf jeden Fall mit brutaler Zielstrebigkeit. Wo Ippen, der “Sanierer”, aufschlägt, bleibt kein Stein auf dem anderen. Gewachsenes ist dem Fremden fremd. Immer werden Redaktionen “verschlankt” oder zusammengelegt, immer wird im Anzeigenverkauf die Schlagzahl erhöht. Wer sich nicht fügt, fliegt. Ippen ist im System Ippen immer Gewinner.

Nordhessen wird Ippen-Land
Exemplarisch sei das “Prinzip Ippen” entlang der Übernahme der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) im Jahr 2002 skizziert: Altverleger Rainer Dierichs hatte Jahre zuvor in aller Stille auch den regionalen Anzeigenblattverlag erworben, weitere Zukäufe im Umland untersagte ihm jedoch der Bundesgerichtshof. Ippen und Schöningh fürchten das Kartellamt nicht und wagen erneut einen großen Coup: Im Februar 2002 übernimmt Ippen die damals zweitgrößte hessische Tageszeitung, wird zugleich Eigner des größten Anzeigenblattes (ExtraTip) und dessen ausgegliederter Vertriebseinheit “Top direkt”. Über eine Medienbeteiligungsgesellschaft (MBG Bad Hersfeld) kauft Schöningh im Sommer 2002 unauffällig auch den letzten echten Wettbewerber im Verbreitungsgebiet der HNA, die MB Media in Witzenhausen mit 17 Anzeigenblättern. Nordhessen wird binnen eines Jahres dem Ippen-Imperium einverleibt: Ende 2002 bedient Ippen mit der Tageszeitung HNA über 220.0000 Abonnenten und erreicht mit seinen Anzeigenblättern fast 750.000 Haushalte. Natürlich wirkt das nordhessische Pressemonopol wettbewerbsverzerrend – doch wenn es um Ippen geht, schweigen die Wettbewerbshüter – einmal mehr.

Zwar kann man dem Lebenswerk des heute Geehrten getrost die Vernichtung hunderter, vermutlich sogar tausender Redakteurs- und Journalistenarbeitsplätze zurechnen. Doch auch das Schicksal der HNA erklärt nicht zureichend, wie man binnen eines Lebens so unglaublich reich werden kann.

2015: Eine Großrazzia bringt Unschönes zutage
Das offenbart erst eine Großrazzia im April 2015, bei der 600 Zollbeamte ausrücken, um insgesamt 90 Durchsuchungsbeschlüsse zu vollstrecken. Wie der SPIEGEL seinerzeit schreibt, wurde nach Informationen des Hamburger Nachrichtenmagazins „Vermögen im Wert von etwa zwei Millionen Euro sichergestellt. Die Behörden gehen davon aus, dass die Unternehmen, die zum Einflussbereich des Münchner Verlegers Dirk Ippen gehören, sich mit einem illegalen Trick um Sozialversicherungsabgaben in Millionenhöhe gedrückt haben. Im Zentrum steht dabei nach Angaben eines Ermittlers neben einem Offenbacher Unternehmen die Firma Top Direkt Marktservice GmbH in Kassel, die von dem Ippen-Neffen Daniel Schöningh geleitet wird und unter anderem auf die Verteilung kostenloser Werbezeitschriften spezialisiert ist.“ Rührt etwa ein erklecklicher Teil des Ippen-Vermögens von der Ausbeutung seiner Austräger?

Die Antwort ist ein eindeutiges JA. Zwar ist es Daniel Schöningh seinerzeit in Kassel noch einmal gelungen, den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Doch Einsicht zeigen die Herren Ippen und Schöningh nicht. Im Gegenteil, beide betonen seither bei jeder Gelegenheit, der Mindestlohn für Austräger sei das Totenglöckchen der Branche. Letzte Woche hat der alte Herr sogar vorgeschlagen, die Tätigkeit den haushaltsnahen Dienstleistungen zuzurechnen. Einfach dreist.

Denn was kaum jemand weiß: Für Zeitungs- und Blättchen-Austräger gibt es dank der erfolgreichen Lobbyarbeit des Verlegerverbandes eine andauernde nachteilige Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn. Damit die arg gebeutelten Verleger nicht verarmen, gilt für Austräger immer der Mindestlohn des vorletzten Jahres. So lassen sich, ich habe es an anderer Stelle einmal vorgerechnet, pro Austräger als Beitrag zur Rettung des Qualitätsjournalismus bestimmt 500 Euro im Jahr einsparen. Meines Wissens existiert dieses Sonderrecht bis heute. Pfui.

Wer sozial Schwache ausbeutet, kann kein Humanist sein
Bringen wir diesen schrecklichen Riemen zu Ende. Natürlich war Dirk Ippen in seiner Zeit ein Visionär. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass der über komplizierte Eigentumsverhältnisse promovierte Jurist beim Aufstieg gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern Wettbewerber, Altverleger und Kartellämter an der Nase herumgeführt hat. Auch den Niedergang des deutschen Journalismus hat Ippen nicht alleine zu verantworten, da haben auch andere gierige Verleger ihren Beitrag geleistet. Absolut scheinheilig ist es allerdings, sich ausgerechnet von Daniel Schöningh als “Humanist im besten Sinne” titulieren zu lassen. Denn wer mit System Schüler, aber auch Alleinerziehende und sozial Schwache ausbeutet, kann kein Humanist sein.

Nun kennen Sie Dirk Ippen, besser meine Sicht auf den Herrn Doktor. Sie haben verstanden, wie Dirk Ippen so reich werden konnte. Und vermutlich auch, warum den Schleimereien seiner Lohnschreiber am heutigen Tag ein so umfänglicher Text entgegengestellt werden muss. Denn zu unser aller Glück tippen immer noch nicht alle für Ippen. Herzlichen Glückwunsch!

Quellen / Nachweise:

Ippen, Dirk: Mein Leben mit Zeitungen (2019).
https://societaets-verlag.de/produkt/mein-leben-mit-zeitungen/

Kreissl, Rüdiger: Alle tippen für Ippen. (1.6.2003)
https://mmm.verdi.de/medienwirtschaft/alle-tippen-fuer-ippen-23301

FAZ.net Auch in der zweiten Liga spielt man schön. (2.7.2011)
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/zeitungsverleger-dirk-ippen-auch-in-der-zweiten-liga-spielt-man-schoen-1656003.html

Skandal Chronik . Großrazzia: 600 Beamte durchleuchten Ippens Zeitungsvertrieb. (21.4.2015 ff) http://werra-meissner-dreist.de/skandal-chronik/

SPIEGEL online. Razzia bei Zeitungsvertrieben. (24.4.2015)
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sozialabgaben-razzia-bei-zeitungsvertrieben-a-1030427.html

Deutschlandfunk. Die Erfolgsgeschichte eines Verlegers. (13.10.2020)
https://www.deutschlandfunk.de/dirk-ippen-wird-80-die-erfolgsgeschichte-eines-verlegers.2907.de.html?dram:article_id=479103

Newsroom.de. Warum Verleger Dirk Ippen weitere Anteile verschenken will und an wen (6.10.2020) https://www.newsroom.de/news/aktuelle-meldungen/vermischtes-3/warum-verleger-dirk-ippen-weitere-anteile-verschenken-will-und-an-wen-912994/

MDR. Medien360G / Altpapier. Das gedruckte Facebook. (14.10.2020)
https://www.mdr.de/altpapier/das-altpapier-1704.html

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