Schale Vorfreude auf ein FIFA-Fußballfest

Erfreulich, dass Jogis zweiter Anzug im Jugendstil so sportlich-elegant den deutschen Fußball kleidet, dass heute vielleicht das Confed-Cup-Finale gewonnen werden kann. Sogar von einer Titelverteidigung im nächsten Jahr darf man nun wohl träumen…

Traurig mutet es aber an, dass das heutige Spiel in einem Stadion stattfindet, das in St. Petersburg unter skandalösen Arbeitsbedingungen errichtet worden ist (mehr dazu in folgendem Spiegel-Online-Artikel: http://www.spiegel.de/sport/fussball/confed-cup-2017-in-russland-das-skandal-stadion-von-sankt-petersburg-a-1152407.html). FIFA-Fußballweltmeisterschaften dienen in den nächsten Jahren zwei zahlungskräftigen autokratischen Regimen zur Selbstbeweihräucherung, zu deren Zweck bei der gigantomanischen Festvorbereitung auch jahrelange Ausbeutung und Sklavenarbeit in Kauf genommen werden – ob nun in Russland oder in Katar.

Aber sollte da die nicht gerade die deutsche Geschichte uns eigentlich zu mehr Wachsamkeit mahnen? Die Olympiade 1936 war der zeitgeschichtliche Sündenfall der Indienstnahme eines sportlichen Großereignisses durch ein menschenrechtsfeindliches Regime – im 21. Jahrhundert droht nun dieser appeasementpolitische Sünden- zum neoliberalen Regelfall zu werden. Begünstigend für diese Tendenz ist offenbar, dass die sportpolitischen Großgremien IOC und FIFA zunehmend von ebenso unfähigen wie profitgeilen, korrupten und gewissenlosen Funktionären dominiert werden.

“Augen zu und durch” scheint jedenfalls die Parole bei der FIFA zu sein, solange ihre Kassen nur laut genug klingeln – können wir uns an solchen Sport”festen” aber wirklich ehrlicherweise noch erfreuen (und als Fernsehzuschauer indirekt zu ihrer Finanzierung mit beitragen)? Und wird der DFB erst gegen die FIFA rebellieren, wenn eine WM nach Nordkorea vergeben werden sollte?

 

ZEITUNGSAUSTRÄGER SIND LEISTUNGSTRÄGER!

Mittelwertig verdient ein Zeitungszusteller 2015 rund 1.000 EUR weniger als ihm zustünde, würde auch für ihn oder sie der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 EUR gelten.

Mittelwertig verdient ein Zeitungszusteller 2015 rund 1.000 EUR weniger als ihm zustünde, wenn auch für ihn oder sie der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 EUR bereits gelten würde. Foto: verdi

Zeitungsausträger gehören meines Erachtens zu den Leistungsträger eines Zeitungsverlages. Trügen sie nicht bei Wind und Wetter frühmorgens die druckfrische Zeitung zuverlässig bis an den Briefkasten, würde heutzutage kein Mensch mehr eine Tageszeitung abonnieren – völlig egal was drinsteht. Ich weiß ganz genau wovon ich spreche, meine Mutter hat über vierzig Jahre die Badische Zeitung ausgetragen.

Trotzdem ist es der Verlegerlobby in der Diskussion um den Mindestlohn gelungen, ausgerechnet für diese Berufsgruppe eine nachteilige Ausnahmeregelung durchzusetzen. Statt einem Mindestlohn von 8,50 EUR erhalten auch erwachsene Zeitungszusteller (und Austräger von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt) bis Ende 2015 lediglich 6,38 EUR (75% von 8,50 EUR) und 2016 nur 7,23 (85% von 8,50 EUR). Erst ab 2017 erhalten Zeitungszusteller den für fast alle anderen Branchen bereits für 2015 gültigen gesetzlichen Mindestlohn. Sollte bis dahin die Mindestlohnkommission den Mindestlohn allerdings bereits erhöht haben, wird diese Erhöhung für Zeitungszusteller wiederum erst 2018 wirksam. Konkret bedeutet das, dass Zeitungszusteller mindestens weitere zwei Jahre unterhalb des gesetzlichen Mindestlohn bezahlt werden. Meiner Meinung nach ist das eine bodenlose Sauerei!

Faktisch steht euer Tageszeitungsausträger sechs Mal in der Woche um 4 Uhr für euch auf, schwingt sich gegen 4.30 Uhr bei jedem Sauwetter auf sein Fahrrad (oder nutzt auf eigene Kosten seinen PKW), fährt zum Distributionspunkt, lädt seine Zeitungspakete (und wenn er Pech hat noch ein paar Bündel nicht eingeschossene Beilagen) ein und macht sich schwer beladen auf in sein Verteilgebiet. Wir dürfen annehmen, dass seine oder ihre Arbeitszeit trotzdem erst beginnt, wenn er den ersten Briefkasten erreicht hat. Zwischen 4.45 – 6.15 Uhr steckte er oder sie – je nach Gebiet und Abodichte – zwischen 60 – 180 Zeitungen in Briefkästen und Zeitungsrollen. Im Winter ist der Zeitungsausträger zudem die ärmste Sau, er oder sie ist fast immer vor dem ersten Streudienst unterwegs.

Rechnen wir mal gegen was er oder sie aktuell dafür bekommt: 26 Tage x 1,5 Stunden x 6,38 EUR = 248,82 EUR! Das sind mittelwertig 9,57 EUR pro Einsatz. Für um 4.00 Uhr für uns aufstehen und um 6.30 Uhr wieder heimkommen. Gälte der Mindestlohn bereits , wären es übrigens auch nur 12,75 EUR – und ich gehe jede Wette ein, dass dafür kaum einer von uns auch nur um 4.00 Uhr aufstehen will.

Auf diese Weise spart der Verlag, bzw. meist dessen längst ausgegliederte Vertriebseinheit, dieses Jahr pro Monat und Austräger 82,68 EUR ein, was sich über das Jahr mithin auf fast 1.000 EUR pro Austräger summiert.

Oder, um es konkret zu sagen: Jeder Zeitungsausträger wird dieses Jahr von seinem Arbeitgeber um fast 1.000 EUR beschissen. Einfach weil ein paar Dutzend Tageszeitungsverleger für Politiker so viel wichtiger sind, als Hundertausende von anständigen Menschen, deren Wecker morgen früh wieder um 4.00 Uhr für uns klingelt.

DAS mußte ich jetzt auf jeden Fall mal loswerden.

Effektiv gegen das schlechte Gewissen hilft derzeit nur ein gelegentlicher Zehner Trinkgeld. Meine Mutter hat sich über solche Zeichen persönlicher Wertschätzung immer besonders gefreut.


Erstveröffentlicht am 26.04.2015 / mas
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